Präsenz-Coaching in der Gruppe trotz Corona? Ja, mit sicherem Hygienekonzept und der passenden Methodik. Denn effizientes Coaching braucht Interaktion, aktives Erleben. Dieser Blogbeitrag von Hans Rosenkranz, Frank Altrock und Peter Klar beschreibt zwei geeignete Methoden.
Die Kunst, mit Präsenz in der Corona-Zeit Abstand zu halten. Dieses Thema steht im Fokus des ersten Methodenworkshops des Nachwuchsteams von Team Dr. Rosenkranz während der Coronazeit. Weitere Themen rücken ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit. Zum Beispiel: wie unterscheiden sich gruppendynamische und systemische Interventionen?
3 Tage innehalten – reflektieren – präsent sein. Welche Impulse gewinnen Manager und angehende Gruppendynamiker aus sinnvollem Abstand halten?
Sich der eigenen Muster und der Muster der Gruppe bewusst werden, welche Wiederholungen sind uns lieb und zur Gewohnheit geworden und halten uns ab von innovativem Denken und mutigem Experimentieren mit neuem Verhalten.
Hier einige Gedanken und Kommentare der TeilnehmerInnen nach diesem Methodenworkshop:
- „Lernen in höchster Intensität für mich persönlich, meine Trainerrolle, meine Beziehung zum Institut.“ (Jana Brettner)
- „Der Methodenworkshop hat mir bewusst gemacht, wo ich stehe und mir geholfen mich neu auszurichten.“ (Lena Scheiterbauer)
- „Hier wird der systemische Ansatz mit Herz und Verstand praktiziert.“ (Martin Pröttel)
- „Ein weiteres besonderes Lernerlebnis durch Tun.“ (Nina Gutzeit)
Frank Altrock und Peter Klar stellen folgende ausführliche Erfahrungsberichte zur Verfügung.
Lernen und Arbeiten in der Gruppe
Von Schwänen, leeren Gefäßen und olympischen Disziplinen
Prof. Dr. Frank Altrock
„Wie kann ich Einzelne, Teams und Organisationen zum systemischen Denken und Arbeiten bringen?“, war die Kernfrage, anhand derer die Nachwuchstrainer am Institut Team Dr. Rosenkranz am vergangenen Wochenende im Rahmen einer Fortbildung am Starnberger See zusammen kamen. Es war die erste derartige Fortbildung nach der ersten COVID-19-Welle. Alle Beteiligten waren froh, dank eines ausgeklügelten Sicherheitskonzepts wieder in Präsenz zusammen kommen zu können. Ein Segen gerade angesichts dieses komplexen Themas.
In einer ersten Runde definieren wir unsere eigene „systemische Philosophie“. Mir selbst ist die Perspektive der „subjektiven Wirklichkeitskonstruktion“ wichtig, d.h. die Erkenntnis, dass erzeugte Wirklichkeiten weniger objektive Wahrheiten, sondern subjektiv wahr sind. Jemand anders sieht die „Mobilé-Perspektive“ im Vordergrund: gleich einem Mobilé bewegen sich alle anderen Subsysteme eines Systems, wenn ein Subsystem sich ändert. Jemand drittem ist wegen der Ausstrahlungseffekte die verantwortungsbewusste Gestaltung von „Gesamtlösungen“ wichtig.
Nach einem eigene Gruppendynamik erzeugenden Break gehen wir in eine Phase über, in der die Nachwuchstrainer zur Kernfrage passende selbstgewählte Themen präsentieren. Getreu dem bei Team Dr. Rosenkranz praktizierten Prinzip der angeleiteten Selbsterfahrung geschieht dies in jeder Einheit in drei Schritten: zunächst leitet der/die Übende eine die Intelligenz der anderen Teilnehmer einbindende geeignete Übung an; anschließend erhält er/sie angeleitetes Feedback der Teilnehmer; schließlich coacht Dr. Hans Rosenkranz den/die Übende systemisch.
Für die in unserem Training wesentliche systemische Kulturbildung ist das „Drei-Schwäne-Modell“ (tun, beobachten, Metastandpunkt einnehmen) von Bernd Schmid von besonderer Bedeutung. Für den auf Transaktionsanalyse basierenden Beratungskontext wurde dieses „ich wollte, ich wäre drei Schwäne…“ adaptiert:
- Ein Schwan fliegt und erlebt sich dabei. Z.B. merke ich, dass es mir guttut und mir gemäß ist, wenn in der systemischen Trainingsphilosophie die „subjektive Wirklichkeitskonstruktion“ im Vordergrund steht, die mir intuitiv so wichtig ist.
- Ein zweiter Schwan fliegt nebenher, schaut dem ersten zu und erlebt sich dabei. Z.B. beobachte ich bei anderen deren Präferenz für „Mobilé“ bzw. „Gesamtlösung“ und habe Erklärungen mit Konzepten der Transaktionsanalyse (z.B. Skript-Antreiber) und der Pessotherapie (z.B. entwicklungsgeschichtlichen Defizite) parat. Ggf. benenne ich meine Hypothesen.
- Ein dritter Schwan fliegt nebenher, schaut dem zweiten beim Zuschauen zu und erlebt sich dabei. Beim Einnehmen dieses Metastandpunktes erkenne ich z.B., warum mir die „subjektive Wirklichkeitskonstruktion“ so wichtig ist, indem ich nachspüre, wie diese Präferenz mit meiner Entwicklungsgeschichte zusammenhängt. Indem ich dieses Wissen oder eine korrespondierende Erfahrung geeignet berücksichtige, gelingt eine Reduzierung des – die Buddhisten würden wahrscheinlich sagen – Anhaftens am individuellen Standpunkt und der Quantensprung der Erkenntnis. Oder mit den Worten Rudolf Steiners (S. 129): „Wer von vornherein mit dem Urteil, das er aus seinem bisherigen Leben mitbringt, an eine Tatsache der Welt herantritt, der verschließt sich durch solches Urteil gegen die ruhige, allseitige Wirkung, welche diese Tatsache auf ihn ausüben kann. Der Lernende muss in jedem Augenblicke sich zum völlig leeren Gefäß machen können, in das die fremde Welt einfließt. Nur diejenigen Augenblicke sind solche der Erkenntnis, wo jedes Urteil, jede Kritik schweigen, die von uns ausgehen.“
All diese Wirklichkeitsschöpfungsprozesse sind nie rein rational, sondern beziehen stets auch die Emotion und den Körper ein. Jeder von uns Nachwuchstrainern hat in der Mischung dieser drei seinen/ihren eigenen Stil. Die Fortbildungen bieten immer auch die Möglichkeit, die Abrundung der Mischung zu üben, gleichsam im antiken griechischen Fünfkampf, meistens ohne zu großen Ernst und mit viel Freude.
Die Rundentechnik – Moderation in der Gruppe
Peter Klar
"Sprechen in Runden" ist ein Moderationsformat, bei dem der Moderator den Teilnehmern jeweils in Reihenfolge der Sitzordnung das Wort erteilt.
Grundsätzlich kann die Rundentechnik mit zwei verschiedenen Intentionen ausgeübt werden:
- Durchführen von Dialogen zwischen einem Coach und einem einzelnen Teilnehmer unter Beobachtung der gesamten Gruppe
- Austausch der Gruppe auf Augenhöhe , wobei jede/r nacheinander Rederecht hat
Die Rundentechnik kann in einer Sitzung jederzeit (vor allem zu Beginn oder als Abschluss) eingesetzt werden. Eine Sitzordnung, bei der alle Teilnehmenden in einem Kreis sitzen, begünstigt die Praktik, weil sich die Reihenfolge aus der benachbarten Sitzposition ergibt.
Wenn die Reihenfolge nicht klar ist, beispielsweise bei Kinobestuhlung oder virtuellen Sitzungen, lohnt es sich, diese fest vorzugeben.
Auch sollte vereinbart werden, wie die Teilnehmer das Rederecht weitergeben. Im Stuhlkreis reicht in der Regel der Blick zum Sitznachbarn, in virtuellen Runden spricht man es am besten aus („fertig“, „Nächster“, ...).
Rundentechnik als Coaching-Praktik
Das Ziel besteht darin, dass jeder Teilnehmer in Kontakt mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen kommt. Entsprechend kann eine einladende Fragestellung gewählt werden, Beispiele:
- Wie bin ich hier angekommen?
- Was habe ich letzte Nacht geträumt?
- Was bewegt mich gerade am meisten?
- Was habe ich heute erlebt?
- Welches Aha-Erlebnis hatte ich heute?
Es kommt darauf an, wo man die Runde starten lässt. Der ersten Antwort kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sie die gesamte Gruppe beeinflusst. Der Coach wählt bewusst einen Teilnehmenden, von dem er sich einen positiven Einstieg erwartet. Von dieser Person aus läuft die Runde einmal im Kreis.
Der Coach hilft der aktiven Person, durch Fragen und Rückmeldungen aus den verschiedenen Perspektiven Zugang zu Gefühlen, Bedürfnissen, Antreibern und Blockierern zu finden. Indem die Person diese „Geheimnisse“ (im Sinne des Johari-Fensters) ausspricht, vergrößert sie die „öffentliche Person“ und ermöglicht der Gruppe eine intensivere Zusammenarbeit. Es ist ein Feedback, das die Person möglicherweise an den Coach gibt, das aber vor allem in der Gruppe ankommt.
Der Coach entscheidet situativ und nach Reife der Gruppe, ob es in der Runde bei der Äußerung und Offenbarung gegenüber der Gruppe bleibt oder ob die aktive Person zum Lernimpuls über geht. In einer Gruppe, deren Mitglieder sich bislang noch nicht wirklich gezeigt haben, ist die Offenbarung von „Geheimnissen“ bereits ein großer Schritt. Ist eine Gruppe dies bereits gewohnt, kann der Coach den Einzelnen zusätzliche Impulse geben. Dazu können Muster der Person durch den Coach angesprochen oder einfach irritiert/gestört werden. Die Personen wechseln dadurch aus der Komfortzone ins Lernen.
Die Intensität der Runde kann also von einem schlichten „hallo“ bis zu intensiven Lernimpulsen gehen. Wenn die Intensität zwischen den einzelnen Teilnehmenden stark schwankt, dann kann dies für zusätzliche Irritationen und Dynamik in der Gruppe sorgen. Diesen Effekt muss der Coach nicht vermeiden, sie oder er sollte sich diesen Effekt jedoch bewusst machen.
Die Intensität der Runde wirkt sich auch auf die Dauer aus und sollte im Vorfeld bedacht werden. Eine intensive Runde sollte wie eine vollwertige Lerneinheit behandelt werden und gegebenenfalls mit einer anschließenden Pause gewürdigt werden.
Rundentechnik als Team-Praktik
In diesem Fall ist das Coaching nicht Bestandteil der Praktik. Statt der Rolle des Coaches, hilft der Gruppe die Rolle eines Moderators oder Facilitators.
Es ist eine einfache und grundlegende Praktik, die häufig im Kontext „New Work“ auftaucht. Das Sprechen in Runden ist fester Bestandteil in der Sociokratie, Sociocarcy 3.0, Holacracy oder den Core-Protocols für Teams.
Wenn eine Gruppe in Runden spricht, dann haben alle gleiche Rederechte: jeder ist einmal dran zu sprechen und hört ansonsten aufmerksam zu. In vielen Organisation unterliegt das Rederecht dem Stärkeren. Daher fällt diese Praktik besonders schwer, wenn verschiedene Hierarchiestufen in der Runde sitzen. Das Zuteilen des Rederechts ist dem Hierarchen vorbehalten. Die Rundentechnik funktioniert dann nur, wenn er diese Befugnis an den Moderator abgibt und dem Moderator folgt.
Oft drehen sich alle Köpfe zur Führungskraft, wenn jemand eine Frage an die gesamte Runde stellt. Erst wenn die Führungskraft reagiert hat, dann trauen sich alle anderen das Gleiche mit anderen Worten zu sagen. Dieses Muster kann auch sehr subtil sein, weil die Führungskraft nichts sagt und nur durch Körpersprache die Beiträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beeinflusst. Die Rundentechnik durchbricht das Muster und ermöglicht allen einen Redebeitrag. Damit liegt der Fokus auf dem Inhalt der Worte und weniger auf dem Urheber.
Ablauf
Vorbereitungsphase: Stille. Jeder findet für sich heraus, was im Kopf/Bauch herum geht. Notizen sind hilfreich!
Rundenphase: Eine Person fängt an und nennt ihre Gedanken (Passen erlaubt), sie bleibt bei den eigenen Gedanken und bringt keine Verweise oder Bezüge zu den Vorrednern. Die Anderen hören zu, um zu verstehen (das geht am besten mit geschlossenem Mund ;-), können zu Gesagtem Verständnisfragen stellen, lassen aber alle Aussagen unbewertet nebeneinanderstehen.
Es geht also gar nicht darum die Aussagen sofort in Beziehung zueinander zu setzen oder zu bewerten - alle Aussagen werden von allen gehört. Dies ist wichtig da keine Diskussion möglich ist und der letzte Sprechende durch Bewertungen die Gruppe unzulässig beeinflussen könnte. In weiteren Runden können auf Aussagen der Vorrunde eingegangen werden.
Für eine lebendige Diskussion ist die Rundentechnik nicht geeignet. Jedoch kann ein Entscheider sich über die Rundentechnik die verschiedenen Meinungen einholen, bevor er eine Entscheidung trifft. Bei Gruppenentscheidungen ist die Rundentechnik in einigen Systemen (siehe Links unten) sogar verbindlich. Die Rundentechnik kann auch als schnelle Runde vorweg verwendet werden, um herauszufinden, ob es sich überhaupt lohnt einen Punkt zu diskutieren.
Auch wenn die Praktik einfach klingt, so einfach ist die Durchführung nicht. Gerade Führungskräfte sind es gewohnt, sich in Diskussionen rege einzubringen. Redeanteile in der Gruppe zu ergattern ist ein unbewusster Machtkampf: wer die Redehoheit hat, gewinnt.
Im Gegensatz zur Variante im Coaching wird hier das Rederecht nicht durch den Moderator gesteuert, sonst könnte man ihm vorwerfen Partei zu ergreifen. Am besten wird das Rederecht direkt von Teilnehmer zu Teilnehmer weitergegeben. Ein kleiner Gegenstand (ein Ball, Stift, Fernbedienung, Muschelhorn ;-) erleichtert das Vorgehen. Wer als nächster dran ist muss sich nicht ständig überlegen "kommt noch was?" - sobald der Gegenstand überreicht wird, kann ich reden.
Links und Material
- Sociocracy 3.0
- Buch "Holacracy", Brian J. Robertson
- Die Core Protocols